Hamlet sucht Arbeit

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG 

Die Macht des Beamten über einen hoffnungslosen Helden

Sebastian Knözinger entwirft als Schauspieler auf Jobsuche kafkaeske Szenarien 

 

Ja, das sind die wahren Bretter, die die Welt bedeuten: Der Wartebereich am Arbeitsamt München. Nummer gezogen, wohnlich eingerichtet und dann warten, bis sich der freundliche Arbeitslosenverwalter, etwa ein Herr Lechner, doch mal bequemt. Hier ist jeder gleich, selbst Hamlet erfährt keine bessere Behandlung. Oder besser, ein arbeitsloser Schauspieler, der gerne einmal Hamlet wäre, aber an der Ignoranz des Herrn Lechner scheitert. Nahezu eine kafkaeske Situation entwarf am Freitag in der Tölzer LUST der Schauspieler Sebastian Knözinger mit der Regisseurin Martina Schnell, in der die Rolle des unüberwindbaren Türwächters dem imaginären Beamten des Arbeitsamtes zufiel.

In dem tragikomischen Monolog „Hamlet sucht Arbeit“ schlüpfte der Münchner überaus gewandt in diverse Parodien aus dem Theaterbetrieb, die das Verzweifeln des „nicht Arbeit losen Arbeitslosen“ im vollen Ausmaß vor Augen führte. Aber auch das gnadenlos Entblößende, Abwertende des amtlichen Weges.

Nahezu grotesk erschien hier, was bei näherer Betrachtung traurige Wahrheit enthielt, stand doch der Wunsch, Hamlet zu sein, für unzählige unerfüllte Wünsche, Sehnsüchte und Illusionen, die tagtäglich von Amts wegen vernichtet werden. „Sie sind kein Hamlet! Hamlet ist Heldenfach, das sind Sie nicht! Sie sind Komödiant, Kategorie Liebhaber“, weiß der Arbeitsamtsmitarbeiter Lechner die Welt in seine kleinkarierten Kategorien einzuordnen. Für Lars bleibt also nur noch die Rolle des Fuchses in der avantgardistischen Parodie auf das Weihnachtsspiel übrig – in Quedlinburg-Halberstadt. Komisch genug, doch selbst dabei geht alptraummäßig alles schief. Wie spricht der Fuchs? Das ist die Aufgabe, die eine selbstherrliche, affektierte „Regisseurin“ stellt. Doch wer weiß schon die Antwort? Mit einem „Wuff“ – aus der Not geboren – leitet Lars seinen bodenlosen Abstieg auf Probebühne zwei ein, während auf Probebühne eins ein ans Lächerliche grenzender Hamlet Lars` Grenze der künstlerischen Verletzbarkeit überschreitet. Dann passiert es: Als „stummer Zwerg in der DDR“ hat Lars genug: „Ich reise ab!“. Doch das befreiende Glück ist nur von kurzer Dauer, denn an Herrn Lechner führt kein Weg vorbei. Nicht einmal die Applaus-Kassette zur Erfolgsübung kann den gescheiterten Schauspieler aufheitern. Eingeschlafen im Warteraum, mutiert der Verzweifelnde dann doch zum Hamlet, der vor dem Mord an Oheim Lechner nicht zurückschreckt, und sich auch von der dazwischen funkenden Oma, die sich einen richtigen Beruf für ihren Enkel wünscht, nicht abhalten lässt. Eine hervorragende Traumszene mit allen absurden Verflechtungen von Realität und Ängsten. Doch das Wunder geschieht, und das Erwachen führt nicht zur Rückverwandlung. Hamlet lebt – in Lars. Knözinger gelang es hier beeindruckend, auf humorvolle Weise und mit präzis aufgespürten Charakteren, ein bitterernstes Thema zu behandeln, und dabei einen reichhaltigen Theatergenuss zu bescheren. Zum Schluss war in der Tölzer Lust keine Applauskassette nötig.                                                                                        REINHARD PALMER

 

 

 

TÖLZER KURIER                                          

Prinz von Dänemark als Rolle des Lebens

Ein anderer Hamlet in der „LUST“

  

„Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“, dieses berühmte Zitat ist für Lars Olsen überlebenswichtig: Einmal im Leben will der arbeitslose Schauspieler den „Hamlet“ spielen, darüber definiert er sich. Sein steiniger Weg zur Theaterkarriere wurde für die Zuschauer in der „LUST“ ein höchst vergnüglicher Ausflug in die Niederungen der Theaterwelt.

Der Schauspieler Sebastian Knözinger ließ seine Zuschauer im Kulturhaus Alte Madlschule teilhaben an Irrsinn und Langeweile, an Verzweiflung und Enthusiasmus von einem, der nur ein Ziel vor Augen hat: Die Rolle seines Lebens. Doch Lars Olsen muss warten. Im Arbeitsamt sind noch viele Leute vor ihm dran. Und während er sein Brotzeit auspackt, gerät er ins Grübeln über die Ungerechtigkeiten in seinem Leben: Ein Herr Lechner von der Arbeitsvermittlung spricht ihm das Prädikat „Heldenfach“ einfach so ab. („Sie sind Komödiant, aber Held, ich bitte Sie“) und überhaupt niemand nimmt ihn ernst. Keiner will ihm den „Hamlet“ geben, ja, nicht einmal für die Rolle des Fuchses in der Weihnachtsmärchen-Revue am Nordharzer Städtebundtheater reicht es. Doch die Verzweiflung siegt („Ehe man sich versieht, steht man als stummer Zwerg in der DDR - und das mit über dreissig“), und er muss als Zwei-Meter-Zwerg in der letzten Reihe der Weihnachtsaufführung stehen, während nebenan sein Traumstück geprobt wird.

Doch Lars gibt nicht auf, bereitet sich mit Hilfe seiner Applaus-Kassette auf den grossen Moment vor. So kommt es zu einer fulminanten Hamlet-Vorstellung, die vielleicht nur in seinem Kopf stattfindet, die ihn aber endlich huldvoll über die Bühne schreiten lässt.

Sebastian Knözinger versteht es meisterhaft, seinen Figuren Tiefe, Schärfe und Leichtigkeit zugleich zu geben. Er schlüpft in die Haut des krestiv-überspannten Regisseurs ebenso überzeugend wie in die Rolle des von seiner Wichtigkeit durchdrungenen Schauspielerkollegen. Er ist der arme verzweifelte Tropf Lars Olsen genauso wie am Ende Prinz Hamlet.. Ein Schauspieler, der Sprache und Körper trefflich einzusetzen weiss, der mit einfachsten Hilfsmitteln die Facetten seiner Figuren lebendig macht. Ein Stück, das spannend, tragisch, urkomisch, vielfältig, anrührend und spitzfindig ist. Oder mit Lars Olsens Worten gesprochen: „In einem Stirnrunzeln kann der ganze Faust liegen.“                                                                                                                   INES GOKUS

 

 

 

MÜNCHNER MERKUR

Da biegt sich die Yucca-Palme

Die Tragikomödie „Hamlet sucht Arbeit“ im Münchner Unterton

 

56 Wartenummern hat er Zeit, in der er, die Nummer 57, ein Martyrium erleidet. Denn er ist Hamlet, auf dem Arbeitsamt. Sebastian Knözinger hat sich zusammen mit der Regisseurin Martina Schnell die hübsche, kleine Tragikomödie über den verkannten Schauspieler ausgedacht und äußerst unterhaltsam auf die Bühne von Jörg Maurer´s Unterton gebracht. „Hamlet sucht Arbeit“ ist die zweite Produktion des Künstlerduos: Schauspieler Lars fühlt sich mit seinen – wenn auch einige Generationen zurückliegenden – dänischen Wurzeln und seinem zögerlich-wankelhaften Gemüt dazu berufen, Shakespeares Dänenprinzen und nur diesen zu spielen. Weshalb er allmonatlich bei der Künstlervermittlung aufkreuzt und vor Herrn Lechners Schreibtisch erst triumphierend, dann auf Knien seine große Bestimmung deklamiert. Wenn er erst einmal an der Reihe ist.

Bis dahin aber demonstriert er in der unheimlichen Wartezimmerheimeligkeit dem Publikum so heftig sein Talent, dass die Yucca-Palme sich biegt und der Behördenstaub nur so wirbelt. Rezitiert auch seinen Lebensweg vom ersten Schrei am Max-Reinhardt-Seminar bis zum stummen Fuchs im Weihnachtsmärchen am Nordharzer Städtebundtheater Quedlinburg-Halberstadt.

Knözinger spielt affektierte Kollegen und blasierte Regisseure, die Oma, die lieber einen Arzt als Enkel hätte, sowie seinen Sachbearbeiter, der ihm das komische Fach aufdrängen will. Und dieses meistert Knözinger als Hamlet auf Arbeitssuche ganz wunderbar.                      CHRISTINE DILLER